Raumnarratologie in der Nachfolge des spatial turn am Beispiel der deutschsprachigen Literatur der Moderne und der Avantgarde

Schlüsselbegriffe: Raumnarratologie, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, imaginäre und historische Räume, Raumkonzepte und Grenzen, Mehr-Ebenen-Raumkonzepte, die Moderne, Avantgarde, Expressionismus

Mit dem Aufschwung der kulturwissenschaftlichen Raumanalysen in der Folge des sogenannten „spatial turn“ und dem Beginn einer historischen Narratologie treten spezifische Fragen der literarischen Raumnarratologie verstärkt in den Vordergrund, ins Besondere, da die terminologische und konzeptuelle Vielfalt hier und da Konfusion bereiten kann. Die vorgeschlagene Sektion soll sich anhand von zwei überragenden und maßstabsetzenden Autoren der Jahrhundertwende und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem der spezifischen Erscheinungsweise und Funktion literarischer Raumdarstellungen in der Moderne widmen. Bleibt die Raumdarstellung in der Vormoderne des 17. und 18. Jahrhunderts im Wesentlichen dem Entwurf eines szenischen Handlungsraumes verpflichtet, wobei nur in seltenen Fällen die Spezifik der Räumlichkeit eine eigene Funktion annimmt, so entwickelt und differenziert das 19. Jahrhundert in den Raumbeschreibungen eine eindrucksvolle Spezifizierung und Beschreibung detaillierter Räumlichkeiten (Interieur, Ausstattung). Die Autoren des literarischen Realismus greifen aber auch auf schon im 18. Jahrhundert etablierte Muster metaphorischer Räume zurück (Seelenlandschaften), die sie in psychologisierender Absicht einsetzen und verfeinern.

Mit dem Beginn der literarischen Moderne verändert sich nicht nur das Raumempfinden, sondern es entstehen auch in schneller Folge zahlreiche Raumentwürfe, die weit über die Raumsemantiken des 18. und 19. Jahrhunderts hinausgehen. Literarische Räume bei Döblin, Musil, Kafka und zahlreichen anderen Autoren belegen die außerordentliche Vielfalt dieser modernistischen Raumsemantik. Die vorgeschlagene Sektion beabsichtig die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Rainer Maria Rilke und Thomas Mann – aber nicht nur –zu ziehen, als jene Autoren, deren Werk als grundlegend für die weitere Ausdifferenzierung literarischer Raumdarstellungen gelten kann. Dabei geht es bei Rilke weit mehr als nur um eine individualisierte Aneingnung des ästhetischen/erzählten Raumes, während Thomas Manns Frühwerk wie späteres Werk interessante Perspektiven auf die poetischen und ästhetischen Mittel zur Erzeugung des narrativen Raums aufzeigen.

Ein weiteres Ziel dieser Sektion besteht darin, Verfahren der literarischen Raumanalyse exemplarisch vorzuführen, um Anregungen für Nachfolgeprojekte zu geben und weitere Forschung zu initiieren. Dies ist umso wichtiger, als es keine allgemein akzeptierte Methodik der literarischen Raumanalyse gibt; die zahlreichen Einführungen und Handbücher zum Thema Raum/Space geben hier zwar vielerlei Anregungen, aber für eine literaturwissenschaftliche Analyse muss auch weiterhin auf ältere Arbeiten oder auf die neueren Darstellungen von Katrin Dennerlein Narratologie des Raumes (DeGryuter, 2009) und Caroline Frank Raum und Erzählen. Narratologisches Analysemodell und Uwe Tellkamps „Der Turm“ (Königshausen & Neumann, 2017) zurückgegriffen werden.

Eine mögliche Fragestellung der Sektion wäre die Folgende:

  • Welche sind die mentalen Modelle des Raums beim Leser und welchen Wissensbestand organisiert/versprachlicht man durch mentale Raummodelle? Welche Typologie der Referentialität entsteht in diesem Zusammenhang?
  • Wie wird Raum durch die Narration erzeugt, zwar mit Hilfe welcher poetischer Strategien? Inwieweit hängen Raumkonstrukte vom narrativen Fokus und von der Perspektive bzw. Stimme ab?
  • Welche Rolle spielt der literarische Raumkonzept im Fall des Expressionismus und der Avantgarde?
  • Inwieweit und wie kann man von einem Raum der literarischen Sprache anhand konkreter Beispiele sprechen?

Die Publikation der druckreifen Beiträge ist vorgesehen.

Anmeldungen sind samt des Vortragstitels sowie einer kurzen (höchstens 15-zeiligen) Zusammenfassung des Vortrags bis zum 20. April 2018 per E-Mail verbindlich an die folgenden zwei Adressen zuzuschicken:

  1. dem Organisationskomitee auf einer der angegebenen Möglichkeiten:
  2. den SektionsleiterInnen (siehe die angegebenen Kontaktadressen)